Erinnerungen eines gilneischen Soldaten

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Erinnerungen eines gilneischen Soldaten

Beitragvon Eolarios » 8. August 2011, 10:40

Es war mitten in der Nacht, als Eolarios die Augen aufschlug. Als er sich strecken und die alte Decke zurechtschieben wollte, ächzte er leise und verzog das Gesicht. Lange war es her, dass er auf dem blanken Boden geschlafen hatte. Damals war sein Körper jünger und trainierter gewesen, konnte das besser verkraften. Doch das war jetzt unwichtig. Er hatte immerhin darum gebeten, hier schlafen zu können. Langsam richtete er sich auf, versuchte wieder Leben in die steifen Glieder zu bekommen. Als sein Blick durch den kleinen Raum wanderte, umspielte ein Lächeln seine Lippen. Der fahle Mondschein, der durch eines der Fenster fiel, reichte aus um die beiden Mädchen und ihren Hund beim Schlafen zu beobachten. Leise schob er seine Decke zur Seite und erhob sich. Als er den Fuß aufsetzte, knarzte eine der Bodendielen, was den Wolfshund den Kopf heben ließ. Treu lag er am Fuße von Daralines Bett, sah kurz zu Eolarios auf und rollte sich dann wieder zusammen. Der Mann seufzte stumm und sah auf das Bett neben sich hinunter. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen, als er sich hinabbeugte und die völlig verdrehte Decke wieder über Lerylas Körper legte.

So leise wie möglich ging Eolarios die Treppe hinunter, sah noch einmal hinauf, ob die Beiden auch wirklich noch schliefen und öffnete vorsichtig die Tür. Als er auf die Stufen hinaus trat und die Tür leise hinter sich schloß, atmete er tief ein. Nachts roch die Stadt nicht ganz so schlimm, aber vor allem war es still. Langsam ging er die Stufen hinunter, blickte über das im Mondschein schimmernde Pflaster und ließ sich leise seufzend auf die letzte Stufe nieder. Das war es also nun, sein neues Zuhause. Kurz hob er den Blick zu dem verwitterten Schild hinauf, das an der Fassade des Hauses angebracht war. Die Farbe, die die beiden Mädchen so sorgfältig und begeistert aufgetragen hatte, schimmerte leicht im Mondlicht. Eolarios schüttelte leicht den Kopf. Hier konnten weder er, noch die Mädchen dauerhaft wohnen. Die Eigentümer des Blumenladens waren großzügig, aber es erschien ihm nicht ausreichend. Langsam zog er die Knie an und legte die Arme darauf.

Zuhause.. Diese Stadt war ihm noch immer nicht geheuer. Der wahnsinnige Priester hatte doch tatsächlich vorgeschlagen, er solle sich bei der Stadtwache einschreiben. Es hatte nicht viel gefehlt und Eolarios hätte ihn wegen Anstiftung zum Hochverrat niedergeschlagen.

Zuhause.. Wieder geisterte das Wort durch seinen Kopf. Sein Zuhause war verloren, verseucht. Und doch voller Erinnerungen. Er konnte noch immer das Kinderlachen hören, das ihm durch den hohen Flur entgegendrang, wenn er Abends nach Hause kam. Er spürte noch immer die Hand auf seiner Wange, die ihn alle Sorgen des Tages hatte vergessen lassen.
Eolarios senkte den Kopf und schloß die Augen. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und schloß die Hände um seinen Kopf. Kein Ton drang aus seinem Mund als er einfach nur so da saß und er bemerkte auch nicht die Blicke, die ihn aus dem kleinen Fenster über ihm trafen.

Zuhause.. Er wollte kämpfen. Wollte alles wieder rückgängig machen. Noch vor einigen Wochen wäre er ohne mit der Wimper zu zucken in den Krieg gezogen. Sei es noch so aussichtslos gewesen. Lieber starb er im Kampf um sein Land, als in einer verrückten Stadt dahinzuvegetieren. Doch nun.. So plötzlich hatte sich alles geändert. Die Mädchen brauchten ihn. Doch andererseits waren sie so selbstständig. Wieder entbrannte der Kampf vom Vorabend in ihm. Familie, hatte der Priester gesagt. Seine neue Familie. Ein Schauer durchzog seinen Körper. Er war noch nicht bereit. Zu tief saßen der Schmerz und die Wut. Wut auf die Worgen. Auf die verdammten Untoten. Doch zuletzt auch Wut auf sich selbst. Es waren keine Untoten, die seine Frau und Tochter getötet hatten. Sie waren gestorben, noch bevor der Krieg ausgebrochen war. Eolarios ballte die Hände zu Fäusten und presste sie gegen seine pochenden Schläfen. Schweigend starrte er mit noch immer gesenktem Kopf auf die Pflastersteine vor sich. Wie hatte er das zulassen können. Nicht genug, dass ihn das Biest in der Gasse vor dem Marktplatz gebissen hatte, nein, es hatte auch noch entkommen können. Die Ärzte hatten gesagt, er brauche Ruhe, solle nach Hause gehen und sich hinlegen, damit die Wunde verheile. Warum hatte er das nur geglaubt. Jede Nacht sah er sie seitdem vor sich. Diese Klauen, die Mias kleinen Körper zerfetzt hatten, als wäre er aus dünnem Papier. Das Maul, dessen Reißzähne sich durch Alicias wunderschönes Gesicht gebohrt hatten.
Eolarios öffnete die Fäuste und presste die Handballen mit aller Kraft gegen die schmerzenden Schläfen. Er schloß die Augen wieder, stumme Tränen tropften auf das Pflaster unter ihm. Er wußte, was gegen diese Kopfschmerzen half. Doch er konnte und wollte das nicht zulassen. Er hielt die Zeit, in der er die Worgengestalt zuließ, so kurz wie möglich. Zuviel Schlimmes hatte sie ihm angetan. Zuviel Leid war dadurch geschehen. Er würde nicht zulassen, dass sich das wiederholt.

Zuhause.. Er hatte kein Zuhause mehr. Es war verloren. Doch als noch schlimmer empfand Eolarios die Tatsache, dass er wohl nur noch tatenlos zusehen konnte. Er war zu vorschnell gewesen, als er dem Baron sein Schwert im Kampf für Gilneas versprochen hatte. Seine Zeit als Soldat war vorbei, das mußte Eolarios nun einsehen. "Verdammter Crowley", fluchte er leise. Nur wegen seiner Rebellion konnte Eolarios nun nicht mehr kämpfen. Schon im Lazarett hatte ihm der Arzt das gesagt, doch damals war Eolarios noch jünger gewesen. Er hatte immer gehofft, dass sein Körper das verarbeiten würde. Heilen würde. Alle Wunden waren verheilt, jeder Knochenbruch und jeder Schnitt. Nur die Narben erinnerten noch daran. Doch seine Schulter war nie völlig verheilt. Zu lange hatte das Schwert im Fleisch gesteckt, sagte der Arzt damals. Zu allem Überfluß hatte ihn der durchgedrehte Paladin vor einigen Wochen auch noch genau an dieser Stelle mit seinem dämlichen Lichtzauber treffen müssen. Seitdem schmerzte die Schulter wieder, wenn er den linken Arm belastete. Eolarios rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Das Hämmern in seinem Kopf wurde langsam schwächer, doch es würde noch dauern, bis er es wieder verdrängen konnte.

Zuhause.. Für sein altes Zuhause mussten andere kämpfen. Sein Schädel dröhnte innerlich, als Eolarios sich dessen bewußt wurde. Nur zu gerne wäre er in die nächste Taverne gegangen, hätte sich was von dem Sturmwinder Whiskey bestellt und so lange getrunken, bis die Kopfschmerzen aufhörten. Bis alles betäubt war. Wieder ballte er die Hände zu Fäusten, während er die Handballen weiter gegen die Schläfen presste. Warum hatten ihn die Mädchen dort finden müssen? Sie hätten ihn nie so sehen dürfen. Er hatte versprechen müssen, nicht mehr zu trinken. Eolarios atmete tief durch, beim Ausatmen klang ein tiefes Grollen mit. Sie würden es nicht merken. Leise knurrend schüttelte der Mann den Kopf. Er wußte, dass es nicht bei einem Krug bleiben würde. Viel mehr war nötig, um die Kopfschmerzen zu vertreiben. Er konnte nicht zulassen, dass die Mädchen ihn wieder so vorfanden.

Lange hatte Eolarios dagesessen, den Boden anstarrend und sich die Schläfen reibend. Er würde noch eine Weile dort sitzen bleiben. Die Nacht war lau und an Schlaf war nicht zu denken. Die Kopfschmerzen würden ihn noch eine Weile wach halten.
Zuletzt geändert von Eolarios am 25. September 2011, 07:44, insgesamt 1-mal geändert.
Eolarios
 

Vor langer Zeit im Silberwald

Beitragvon Eolarios » 24. September 2011, 03:38

Kälte. Sie spüre ich als Erstes, als ich aufwache. Ich zittere. Warum liege ich auf Gras? Ich will nach Ceria, der Haushälterin, rufen, doch als ich mich umsehe, fällt mir alles wieder ein. Es gibt keine Ceria mehr. Niemanden. Niemand ist mehr da, der sich um mich kümmert. Ich setze mich auf und kauere mich zusammen. Umschlinge die Knie mit meinen Armen und drücke mich an den Baum, unter dem ich gestern Nacht Schutz gesucht habe. Sie sind alle tot. Wieder holen mich die Bilder ein, die mir schon die ganze Nacht Alpträume beschert hatten. Wilde grünhäutige Bestien, wie sie wahllos auf jeden einschlagen, den ich kannte. Merak und Ceria hatten bis zuletzt versucht, meine Eltern zu beschützen. Meine Eltern. Vaters letzte Worte dringen wie durch einen Schleier an meine Ohren.

Versteck dich. Gib keinen Ton von dir, bis sie fort sind, egal was passiert!

Egal was passiert. Das kleine Loch unter der Kutsche hatte ausgereicht, dass ich fast alles sehen konnte. Und hören. Nie hatte ich Mutter so schreien hören. Ich hörte wie ihr Kleid zerrissen war. Wie die grobe Keule ihre Knochen hatte zersplittern lassen. Ich hatte ihr Blut vor mir auf den Boden tropfen sehen.

Gib keinen Ton von dir!

Meine Lippen hatte ich aufeinander gepresst und nicht einmal gewagt zu atmen. Deswegen hatten mich die Orcs wohl nicht entdeckt. Ihren Geruch werde ich nie vergessen. Sie stanken wie Tiere. Nach Schweiß, Schmutz, Blut und Urin. Eine widerliche Mischung. Mir steigt der Geruch wieder in die Nase als ich mich erinnere. Rasch kann ich mich noch hinter einen Busch bücken, bevor auch der letzte Rest des gestrigen Essens seinen Weg aus meinem Magen findet. Während ich so dasitze, Galle auf den Boden spucke und nach Luft ringe, steigen mir Tränen in die Augen. Tränen vor Wut, vor Hass, vor Trauer. Aber auch vor Angst. Was wird nun aus mir? Ich will es mir nicht eingestehen, aber ich habe Angst. Große Angst. Wieder drücke ich mich an den Baum. Er ist mein letzter Schutz. Ich kann hier nicht bleiben. Was, wenn sie zurückkommen? Wenn sie mich finden? Ich muß nach Hause. Zurück nach Gilneas. Ein Schrei reißt mich aus meinen Gedanken. Oder war er nur dort? Ich weiß es nicht mehr. Es klang wie Vater. Vater. Nie hatte ich ihn so gesehen. Er hatte Angst. Ich habe Angst. Ich muß zurück. Langsam drücke ich mich an dem Baum hoch, sehe mich um. Ich werde im Unterholz kriechen. Sie dürfen mich nicht finden. Wieder lasse ich mich auf die Knie sinken und bewege mich auf allen Vieren vorwärts. Schnell bin ich so nicht, aber auch nicht auffällig. Von einem Strauch zum Nächsten krieche ich so, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu machen.

Gib keinen Ton von dir!

Wie auf ein Kommando lasse ich mich hinter einem Baum zu Boden fallen und beginne zu schluchzen. Es bricht einfach aus mir heraus. Ich will es nicht, aber ich kann es nicht kontrollieren. Vater. Mutter. Merak. Ceria. Kalsito und all die Anderen. Alle sind sie tot. Ich werde sie nie wieder sehen.

Du bist die Familie. Du mußt sie weiterführen, wenn wir einmal nicht mehr da sind.

Vaters Worte klingen dumpf in meinem Kopf. Er hatte Wein getrunken, als er das gesagt hatte. Zuhause, in seinem Sessel. Zuhause. Langsam bekomme ich die Beherrschung wieder. Schnell wische ich mir mit dem Ärmel die Tränen ab.

Ein Mann weint nicht.

Vater hatte das immer wieder gesagt.

Wer weint, ist schwach. Du bist nicht schwach. Du bist Gilneer.

Ich schlucke die wieder aufsteigenden Tränen hinunter und raffe mich auf. Staksig taste ich mich weiter vorwärts. Über Gras und Schlamm quäle ich mich, Kraft habe ich schon lange keine mehr. Auch mein Zeitgefühl ist auf der Strecke geblieben.

Du bist die Familie. Du bist Gilneer.

Gilneer. Zuhause. Das Splittern von Knochen erfüllt wieder meinen Kopf. Ein ekliges, knackendes Geräusch. Gepaart mit Schmerzensschreien. Vater. Mutter.

Gib keinen Ton von dir!

Wie letzte Nacht presse ich die Lippen aufeinander und krieche weiter. Immer weiter. Schritt für Schritt quäle ich mich über den sumpfigen Boden. Sumpfiger Boden? Ich hebe den Kopf. Das Mondlicht taucht die gilneischen Berge in ein unwirkliches Licht. Zuhause. Weiter. Weiter in die Stadt. Ich richte mich auf und taumele auf die Straße, die nach Gilneas führt. Dieselbe Straße, auf der erst vor wenigen Tagen noch in der Kutsche gescherzt hatten. Auf der wir Gilneas verlassen hatten. Meine Schritte werden unsicherer, ich spüre wie meine Füße mich nicht mehr tragen wollen. Doch ich muß nach Hause.

Du bist die Familie.

Meine Hände strecken sich noch nach der Stadt aus, als meine Füße den Dienst verweigern. Ich falle nach vorne, schlage hart mit dem Kopf auf dem Pflaster auf und im selben Moment wird alles schwarz.
Eolarios
 


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