von Líllie » 5. Dezember 2011, 12:05
Eine Traumreise
Es ist kalt geworden in Sturmwind, die Sonne steht am klaren Himmel, aber ein eisiger Wind bläst vom Meer durch die Stadt. Lillie hat die Robe enger um sich gezogen und trägt die Haube tiefer im Gesicht, als sie sich auf den Weg macht zu Marias Grab.
"Heute ist mir nach einer Geschichte zum Aufwärmen", lächelt Lillie " sie liegt schon ein paar Wochen zurück aber ich denke sie ist trotzdem schön. Von Tyrgand habe ich Dir wohl noch gar nicht erzählt."
"Ein wunderschöner Abend in Sturmwind, die Sonne ging gerade über dem See hinter der Kathedrale unter, ich saß am Wasser und ließ meine Gedanken spazieren gehen. Tyrgand brauchte einige Versuche, um mich aus den Gedanken zu reißen, aber sein Besuch war natürlich eine schöne Überraschung. Er nahm mich einfach bei der Hand und wir gingen gemeinsam zum Hafen. Ich hätte gern gefragt was er vorhat aber ich hatte Angst, dass ich bei der Frage aufwache und der schöne Traum vorbei ist.
Wir gingen zu einem der Anlegestege und Tyrgand sah mich lächelnd an. Es war eine unwirkliche Stimmung, die Abenddämmerung, die Stille am Hafen und Tyrgand alles floss so harmonisch zusammen. Wir haben nur einige Minuten dort gestanden, als fast lautlos ein Schiff heranglitt, Elfen waren an Bord und ein Lächeln der Vorfreude stahl sich in mein Gesicht. Ich hatte Tyrgand schon vor einiger Zeit gefragt, ob wir nicht einmal die Elfenstadt Darnassus besuchen können. Jetzt war es wohl soweit.
Ich hatte viel über Darnassus gelesen, aber ich war mir sicher, dass keine der Beschreibungen die Atmosphäre einer solchen Stadt wiedergeben kann. Tyrgand und ich setzten uns wie Kinder vorn in die äußerste Bugspitze und genossen den Wind und die Gischt, die uns entgegenschlug. Viel zu schnell wurde die Glocke geläutet und der Kapitän kündigte an, dass wir bald anlegen würden.
Ich traute mich kaum, mit offenen Augen loszulaufen, so gespannt war ich auf die riesigen offenen Gebäude, die sanften Elfen und das allgegenwärtige Grün der Bäume. Der Steg der uns empfing war überraschend unscheinbar. Einige Trümmer im Wasser zeigten, dass wohl auch die Elfen von den Verheerungen getroffen wurden. Erschrocken schaute ich mich um und konnte nur ein einziges Gebäude erkennen.
Waren wir zu spät gekommen? Wie betäubt ließ ich mich von Tyrgand weiterführen und schaute traurig auf die vermeintlichen Reste einer Elfenstadt, von der ich so lange geträumt hatte. Tyrgands Lächeln gab mir Rätsel auf, verstand er meine Enttäuschung nicht? Unbeirrt ging er weiter auf einen kleinen Pavillon zu, aus dem ein rotes Leuchten drang. Erst im letzten Moment wurde mir klar, was das Leuchten bedeutete, es war ein Portal.
Als wir durch das Portal traten, wurden plötzlich alle meine Träume war, Darnassus - größer, schöner und majestätischer als ich es mir je ausgemalt hatte. Gebäude riesig und ohne Wände, mit einer Grundkonstruktion, die nicht gebaut sondern wie gewachsen wirkte. Die Stadt war nicht in eine Lichtung gebaut sondern die Lichtung war eine Stadt. Jetzt verstand ich die mitleidigen Blicke, wenn ich reisenden Elfen den Park in Sturmwind zeigte. Die Bäume hier in Darnassus waren so viel größer und schöner.
Auf dem Weg zum Mondtempel fragte ich mich, was den Unterschied ausmachte zur Kathedrale in Sturmwind. Natürlich sind die Gebäude nicht vergleichbar, aber der wesentliche Unterschied lag in der allgegenwärtigen Stimmung der Ruhe und des Friedens. Jetzt war es mir plötzlich klar. Ich hatte noch keinen Metallpanzer gesehen, keine Stahlstiefel, die über die Straßen poltern, kein militärischer Gruß, kein dumpfes Murmeln aus behelmten Köpfen.
Elune adore, der Gruß der Elfen war allgegenwärtig, ansonsten nur freundlicher Respekt. Etwas unsicher näherten wir uns dem Mondtempel. Da ich die Bräuche der Elfen nicht kannte, wusste ich nicht, ob uns das Betreten des Tempels erlaubt war. Die Schildwachen am Eingang nickten uns aber nur freundlich zu und so betraten wir den Tempel und setzten uns vor dem Mondbrunnen und einer riesigen Statue und versuchten das Bild in uns aufzufangen.
Erst beim Sitzen merkte ich, dass meine Hand immer noch in der von Tyrgand lag und ich lächelte ihn dankbar an. Seit unserer Ankunft hatten wir noch kein Wort geredet, aber ich war ihm noch nie so nah. Die Statue vor uns nahm unsere Blicke gefangen. Es muss schön sein, an eine Göttin zu glauben. Der Lichtglaube ist den Menschen so viel schwerer vermittelbar als solch ein wunderschönes Wesen.
Wir saßen eine Weile im Tempel, als ein Nachtelf uns begrüßte. Er stellte sich als Imrayon Klingenwind vor und fragte, ob wir Fragen hätten, oder ob er uns helfen könne (ich dachte traurig an unsere Wachen in Sturmwind: "Heh, warum steht er da rum?"). Ich war voller Fragen, aber ich getraute mich nicht, da mir so viel Grundwissen über den Glauben an Elune fehlte. Der Elf sah meine Verlegenheit und fing dann an von sich aus zu erzählen.
Die Statue stellte die erste Mondpriesterin dar und auf meine Frage nach einer Statue der Göttin lächelte er nur und sagte: "Warum Statuen bauen von Elune, wenn sie doch jede Nacht vom Himmel auf uns herablächelt." Ein Satz den ich wohl nie mehr vergessen werde. Der Elf beantwortete geduldig die Fragen, die mir auf dem Herzen brannten und am Ende fragte er, ob er uns die Stadt zeigen dürfte.
Gern nahmen wir sein Angebot an und er führte uns durch diesen Traum aus Farben und Weite. Ich habe von seinen Beschreibungen nicht viel mitbekommen, zu sehr gefangen war ich von der Stille, dem sanften Rauschen der Blätter und den zarten Lautenklängen, die aus einigen Gebäuden drangen - aber doch soviel, dass Darnassus auf dem Weltenbaum Teldrassil erbaut wurde. Tyrgand geleitete mich durch diesen Traum und lächelte wohl ein wenig über meine kindliche Freude an der wunderschönen Stadt.
Am Ende des Rundgangs standen wir vor den großen Katzen, die die Elfen als Reittiere nutzen. Ich war sofort in diese riesigen, starken und doch so sanften Wesen verliebt. Auf meine Frage an den Händler sagte er mir, dass es nur von mir abhänge, ob ich ein solches Tier reiten möchte. Auf meinen erstaunten Blick lächelte er und erklärte mir, dass ich mir das Vertrauen der Elfen erarbeiten müsste und ich beschloss wiederzukommen und daran zu arbeiten, denn die Tiere sind wunderschön.
Imrayon verabschiedete sich von uns mit einer Einladung zu einem Turnier in Darnassus. Ich antwortete, dass ich mir Turniere niemals ansehe wegen der Zurschaustellung von Gewalt. Er lächelte er nur und sagte er meine etwas ganz anders. Es ging um ein Turnier der schönen Künste, bei dem Gedichte, Geschichten und Musik um die Gunst des Publikums ringen. Wir dankten ihm für den unvergesslichen Tag in Darnassus und für die Einladung und wir machten uns, immer noch überwältigt von den Eindrücken, auf den Rückweg zu den Anlegestegen."
Lillie legt einen Strauß Herbstblumen auf das Grab, spricht ein leises Gebet und macht sich lächelnd wieder auf den Rückweg zur Kathedrale, der Wind hat sich gelegt und die Kälte scheint Lillie nicht mehr zu spüren.
Suche nicht den Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg